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Interview

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Foto: TMWWDG

Herr Minister, Grundlage für Ihre Mit-

telstandsinitiative ist ein Gutachten

des Fraunhofer-Instituts für System-

und Innovationsforschung (ISI). Es

bescheinigt der Thüringer Wirtschaft

unter anderem Kleinteiligkeit und ei-

ne niedrige industrielle Brutto-Wert-

schöpfung. Das ist keine so bahnbre-

chende Erkenntnis. Steht auch etwas

Ermutigendes in dem Befund?

Natürlich. Zunächst einmal bestätigt die

Studie ja nicht nur Bekanntes wie die

vergleichsweise niedrige Produktivität,

sondern analysiert auch die Stärken der

Thüringer Unternehmen im Vergleich

zu anderen Bundesländern. Wir haben

viele spezialisierte Unternehmen in

Thüringen, die am Markt national und

international äußerst erfolgreich sind

und hervorragende Produkte anbieten.

Diese Unternehmen verfügen über mo-

derne Produktionsanlagen und -verfah-

ren, zum Beispiel im Bereich Automa-

tisierung. Die Aufwendungen für

Forschung und Entwicklung in Bezug

zur Zahl der Beschäftigten liegen bei

vielen mittelständischen Unternehmen

über dem bundesdeutschen Durch-

schnitt und auf dem Niveau vergleich-

bar großer Unternehmen in Baden-

Württemberg. Auch in puncto Qualität

und Verlässlichkeit nehmen unsere

Unternehmen im Vergleich zu anderen

Bundesländern eine Spitzenposition

ein.

Bleiben wir noch einen Moment bei

der Kleinteiligkeit. Es heißt ja, dass

genau dies dem Freistaat geholfen ha-

be, gut durch die Krise zu kommen. Ist

Kleinteiligkeit trotzdem per se

schlecht, oder anders gefragt, wann

bedeutet „klein“ „zu klein“?

Es geht nicht darum, die Bedeutung und

den Wert der vielen kleinen Unter-

nehmen in Frage zu stellen. Sie prägen

die Wirtschaft in Thüringen und machen

letztlich auch ihren Erfolg aus. Wir wer-

den dafür sorgen müssen, dass die

Thüringer Unternehmen ihre Wachs-

tumspotenziale in Zukunft noch besser

ausschöpfen. Kleinere Unternehmen

sind sehr flexibel. Sie können schnell

auf Marktveränderungen und spezielle

Kundenwünsche reagieren. Die vielen

erfolgreichen Unternehmen bei uns im

Land unterstreichen das. Gleichzeitig haben diese

Unternehmen aber Schwierigkeiten bei Innovations-

projekten und bei der Erschließung neuer Märkte im

Ausland. Darüber hinaus können sie große Stück-

zahlen in der Produktion oft nicht realisieren und ha-

ben es schwerer, Fachkräfte zu gewinnen. Die Firmen

wissen trotz guter Technologien oft nicht, wie sie „die

PS auf die Straße bringen“. Häufig fehlt es bei hohem

technologischem Know-how im Nachgang an der not-

wendigen Vertriebskompetenz. Es lohnt nicht, über

„klein“ oder „zu klein“ zu philosophieren. Wir müssen

aus der Kleinteiligkeit einen Vorteil generieren.

Auch große Konzerne haben einmal klein angefan-

gen. Wo sehen Sie den Weg der Thüringer Unter-

nehmen zu mehr Wachstum?

Das Gutachten zeigt, dass es auch bei erfolgreich am

Markt etablierten Unternehmen Engpässe in den

Bereichen Managementkompetenz, Innovation und

Internationalisierung gibt. Hinzu kommt das Thema

Fachkräftesicherung. Auf diese Bereiche werden wir

uns konzentrieren. Es gilt, Unternehmen dabei zu un-

terstützen, in die „kritische Größe“ hineinzuwachsen,

die für eigene Innovationsaktivitäten und eine starke

Präsenz auf internationalen Märkten erforderlich ist.

Aus diesem Grund muss die Thüringer Wirtschaft stär-

ker kooperieren und Unternehmensnachfolgen gezielt

für Betriebszusammenschlüsse nutzen. Mit unserer

Mittelstandsinitiative wollen wir genau auf diese

Schwächen reagieren.

In der Studie ist von „vertikaler Kooperation“ die

Rede. Was verstehen Sie darunter und was ist daran

neu?

Wir sprechen demgegenüber von „kooperativer Wert-

schöpfung“, sie verbindet einen horizontalen mit ei-

nem vertikalen Aspekt. Es geht um die Zusammen-

arbeit zwischen Betrieben in unterschiedlichen

Wertschöpfungsstufen vertikal und zugleich die Ko-

operation horizontal im Cluster. Durch die kooperati-

ve Wertschöpfung können Kundenbedürfnisse viel

schneller identifiziert werden, um dann gemeinsam

als Systemanbieter aufzutreten und ein ganzheitliches

Produkt entlang der Wertschöpfungskette und in der

nötigen Stückzahl im Clusterverbund anzubieten.

Für uns ist es deshalb ein zentrales

Thema, die Netzwerkstrukturen auszu-

bauen und gemeinsam mit der Lan-

desentwicklungsgesellschaft (LEG) mit

einem gezielten Clustermanagement zu

verbessern, das heißt, die Kompetenzen

und Innovationskraft mehrerer Unter-

nehmen in der Region zu bündeln.

Die Digitalisierung bietet hier zusätzlich

eine völlig neue Möglichkeit. Mehrere

Unternehmen schließen sich zu neuen,

quasi virtuellen Unternehmen zusam-

men, um Kunden mit ihren speziellen,

individuellen und zeitkritischen Wün-

schen bedienen zu können. Dafür

braucht es geeignete digitale Platt-

formen, deren Erstellung wir forcieren.

So ist ein Höchstmaß an Flexibilität

möglich, die große Anbieter oftmals

nicht realisieren können. Aus der Klein-

teiligkeit wird schnell eine Chance, ein

Wettbewerbsvorteil. Voraussetzung

sind eine hohe Bereitschaft zur Ko-

operation und ein Innovationsschub in

den beteiligten Unternehmen. Das flan-

kieren wir als öffentliche Hand.

Horizontale und vertikale Kooperatio-

nen mit anderen Unternehmen und

Forschungseinrichtungen sowie die

Einbindung in Kooperationsverbünde

sind also die Schlüsselthemen für klei-

ne und mittelständische Unternehmen,

um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stär-

ken.

Wie wollen Sie die Firmen dabei un-

terstützen?

Wie bereits erwähnt, müssen wir die

Zusammenarbeit und die Netzwerk-

strukturen stärken. Die Studie hat uns

bestätigt, dass Thüringen mit seiner

Wirtschaftsförderung insgesamt gut

aufgestellt ist. Es steht also für uns

nicht im Vordergrund, zusätzliche finan-

zielle Wachstumsanreize seitens der

Politik zu setzen. Wichtig ist vielmehr,

die Empfehlungen der Studie aufzugrei-

fen und an den Schwächen Innovations-

kraft, Export und Managementkompe-

tenz anzusetzen. Unsere neu gefasste

Richtlinie für die Technologieförderung

und die weiterentwickelte Außenwirt-

schaftsstrategie sind daher zentrale

Bausteine unserer Mittelstandsinitia-

tive.

Wir müssen aus

der Kleinteiligkeit

in Thüringen einen

Vorteil generieren.